
Ist eine vegane Ernährung ohne einen Proteinmangel überhaupt möglich?
Einer der mir am häufigsten gestellten Fragen, seit dem ich vegan esse ist:
…, aber woher bekommst du denn dein Protein?“
Scheinbar macht sich plötzlich mein gesamtes Umfeld große Sorgen um meinen Proteinhaushalt und das pflanzliches Eiweiß nicht ausreicht. Dass ich bald eingehe, wie eine alte verwelkte Primel, weil ich auf Grund eines Proteinmangels meine gesamten Muskeln verliere und mein Körper jegliche Körperfunktion einstellt. Und auch die DGE (Deutsche Gesellschaft für Gesundheit) stuft das Protein als potenziell kritischen Nährstoff in der veganen Ernährung ein.
Doch was ist Wahres an diesem Protein Märchen? Sollte man als Veganer doch ab und zu mal zu tierischem Protein greifen, da dieses als hochwertiger gilt? Bekomme ich als Veganer wirklich alle essentiellen Aminosäuren? Reicht pflanzliches Eiweiß wirklich aus, damit der Körper funktioniert?
Denn als kleinen Spoiler vorab: Die pflanzlichen Proteine verfügen leider über kein perfektes Aminosäureprofil. Wie du das umgehen kannst und dich optimal vegan ohne Proteinmangel ernährst, erfährst du in diesem Beitrag.
Was sind Proteine überhaupt?
Proteine sind höhermolekulare Stoffe und bestehen aus mehreren zusammengesetzten Aminosäuren. 20 sogenannte Standardaminosäuren sind für den Menschen wichtig und 8 davon essentiell, da wir sie nicht selbst herstellen können. Diese 8 Aminosäuren müssen über die Proteine in unserer Nahrung aufgenommen werden, da sonst ein Proteinmangel droht.
Was passiert bei einem Proteinmangel?
Zunächst muss man verstehen, dass es sehr viele verschiedene Arten von Proteinen gibt. Jede einzelne Art ist für bestimmte Funktionen im Körper zuständig.
Alle haben aber eins gemeinsam: Sie bauen neue Zellen auf und reparieren Alte. Proteine sind das Gerüst unserer Zellen.
Kurzer Exkurs: Lebensnotwendige Funktionen der Proteine
- Proteine sind wichtig für den Aufbau der Körpersubstanz. Sie sind ein essentieller Baustoff für das Gewebe.
- Ohne die Muskelproteine könnte sich unser Körper nicht bewegen.
- Die Transportproteine sind dafür zuständig, lebenswichtige Substanzen durch unseren Körper zu transportieren. Hämoglobin sorgt zum Beispiel dafür, dass Sauerstoff im Blut transportiert wird, Transferrin ist für den Transport von Eisen über das Blut verantwortlich.
- Proteine sind wichtig für die Immunfunktion und dienen als Antikörper.
- Fast alle Enzyme sind Proteine. Sie steuern chemische Reaktionen im Körper, beschleunigen sie oder bringen sie erst in Gang. Eine der wichtigsten Aufgaben von Enzymen ist die Steuerung unserer Verdauung.
- Protein- und Peptidhormone bestehen ebenfalls aus Proteinen mit kurzen Aminosäuresequenzen. Hormone steuern unter anderem den Zucker- und Fettstoffwechsel, die Nahrungsaufnahme, den Menstruationszyklus, die Sexualentwicklung, das Knochenwachstum und noch weitere wichtige Prozesse im Körper.
- Energiequelle: Kommt es zu Hungerperioden, kann der Körper Proteine aus den Muskeln zu Aminosäuren abbauen und als Energiequelle nutzen.
- Das Protein Albumin regelt den Wasserhaushalt in deinem Körper. Das Bei Abwesenheit dieses Proteins kann Wasser in umliegende Zellen/Gewebe fließen und ein Ungleichgewicht entstehen => Wasserbauch
Merke: Ein schwerer und lang anhaltender Mangel führt zu den Eiweißerkrankungen Marasmus und Kwashiorkor. Meist leiden Kinder in Entwicklungsländern unter diesen Krankheiten. Man erkennt sie an dem sogenannten Hungerbauch, der durch Wassereinlagerungen im Bauchraum hervorgerufen wird. Zudem führen die Krankheiten zu Muskelschwäche und Wachstumsstörungen und schließlich zum Tod.
Überversorgung von Proteinen in den reichen Industriestaaten
Global gesehen, wird der Proteinbedarf zu 65 % aus pflanzlichen Eiweißquellen gedeckt. Hierzulande greifen die Menschen aber eher auf tierische Proteinquellen zurück
In den reichen Industriestaaten gibt es tendenziell sogar eine Überversorgung. Diese kann negative Auswirkungen wie Verdauungsstörungen, Arthritis, Störung der Leber- und Nierenfunktion und Osteoporose haben.
Studien haben gezeigt, dass Veganer mit ihrer Proteinzufuhr unter der von Mischköstlern und Vegetarien lag. Dennoch lag die durchschnittliche pflanzliche Eiweißzufuhr zwischen 11 % – 14 % der gesamten Tageskalorienmenge, sie wird also grundsätzlich den Zufuhrempfehlungen gerecht.
Wie hoch ist die Proteinzufuhr als Veganer?
Allgemein wird eine Proteinzufuhr von 0,8 g Protein/Körpergewicht empfohlen. Bei einer veganen Ernährung ist die Proteinverdaulichkeit etwas geringer, so lässt sich diese Zufuhrempfehlung nicht direkt auf die vegane Ernährung übertragen.
Merke: Will man als Veganer auf der sicheren Seite sein, ist es sinnvoll 1,0 g Protein/Körpergewicht zu sich zu nehmen. Natürlich haben Sportler, Schwangere, Stillende, Kinder und ältere Personen einen Mehrbedarf.
Die biologische Verwertbarkeit von veganen Proteinquellen
Kann der Körper tierisches Protein besser aufnehmen? Die gute Nachricht ist, dass jedes pflanzliches Lebensmittel Protein enthält, jedoch in unterschiedlichen Konzentrationen mit einem unterschiedlichen Aminosäurespektrum.
Pflanzliche Proteine gelten größtenteils als „unvollständig“. Dies bedeutet, dass sie mindestens von einer essenziellen Aminosäure in Relation zum Bedarf unseres Körpers eine zu geringe Menge enthalten (Stichwort: biologische Wertigkeit). Die essenzielle Aminosäure, die in einem Protein in der geringsten Menge enthalten ist, wird als „limitierende Aminosäure“ bezeichnet.
Durch geschickte Kombination lässt sich dies jedoch leicht ausgleichen, denn die unterschiedlichen pflanzlichen Nahrungsmittel bringen unterschiedliche Aminosäure mit. Über eine bunte Zusammenstellung und Kombination der unterschiedlichen pflanzlichen Proteinquellen lässt sich die biologische Wertigkeit steigern und der Bedarf an allen essenziellen Aminosäuren mit einer veganen Ernährung sehr gut decken.
Gute Kombinationen um alle essentiellen Aminosäuren zu bekommen
- Reis und Bohnen
- Spinat und Mandeln
- Humus bzw. Kichererbsen und Vollkornprodukte
- Erdnussmus und Vollkornprodukte
Merke: In Hülsenfrüchten ist z. B. Methionin die limitierende Aminosäure, sie sind aber reich an Lysin. Bei vielen Getreidesorten ist es umgekehrt. Daher ergänzen sich die Aminosäuremuster von z. B. Hülsenfrüchten und Getreide oder auch von Hülsenfrüchten und Nüssen/Samen zu einem vollständigen, qualitativ hochwertigen Protein.
Die verschiedenen pflanzlichen Proteinquellen müssen jedoch nicht zwingend zur selben Mahlzeit verzehrt werden, eine Aufnahme über den Tag verteilt ist ausreichend.
Das sind die besten veganen Proteinquellen
Die folgenden pflanzlichen Lebensmittel haben viel Eiweiß
- Getreide und Pseudogetreide (Amaranth, Buchweizen, Quinoa – gekocht oder gekeimt)
- Hülsenfrüchte (Linsen, Bohnen (Sojabohne, Lupine etc.), Erbsen, Kichererbsen
- Nüsse und Samen (Mandeln, Cashewkerne, Sonnenblumenkerne, Hanf- und Chiasamen, Sesam)
- Sprossen (Alfalfa, Buchweizen (Brunnen)Kresse)
- Gemüse (grünes Blattgemüse, Brokkoli, Avocado, Spargel, Karotten, Tomaten
- Speisehefe (50 % Protein)
- Süßwasseralgen, wie Spirulina (70 % Protein)

Warum ist pflanzliches Eiweiß besser als tierisches Eiweiß?
Der Verzehr pflanzlicher Proteinquellen kann auch gesundheitlich sowie ernährungsphysiologisch vorteilhaft sein:
- pflanzliche Proteine enthalten kein Cholesterin, kaum gesättige Fettsäuren und keine Trans-Fettsäuren
- sie oftmals höhere Gehalte an Mikronährstoffen (Zink, Eisen), Ballaststoffen, sekundären Pflanzenstoffen und Antioxidantien mit
- im Gegensatz dazu bedeutet eine Aufnahme tierischer Proteinquellen (Milch, Milchprodukte, Fleisch) oftmals eine relativ hohe Zufuhr an gesättigten Fettsäuren sowie Cholesterin.
Fazit: Ein kurzzeitiger Protein Mangel führt „nur“ zum Abbau an Muskelprotein. Ein langfristiger Protein Mangel kann zu irreversiblen Beeinträchtigungen der körperlichen und geistigen Entwicklung führen. Als Veganer braucht man keine Angst haben, einen Proteinmangel zu erleiden. Mit pflanzlichem Eiweiß kann der Körper wunder arbeiten. Wichtig ist, dass man durch eine geschickte Kombination der Lebensmittel alle essentiellen Aminosäuren zu sich nimmt. Die vegane Ernährung liefert nicht nur das gesamte Spektrum aller benötigten Aminosäuren, sondern ist gegenüber tierischen Proteinquellen sogar vorteilhafter. Nicht ohne Grund erzielen vegane Sportler oftmals bessere Leistungen als Mischköstler.
Der stärkste Mann der Welt ist ein Veganer!
Und wenn du immer noch nicht überzeugt bist, als Veganer ausreichend Muskelmasse aufzubauen, kann dich sicherlich Patrik Baboumian vom Gegenteil überzeugen:
Er gilt als der stärkste Mann der Welt und kann über 550 kg tragen. Wenn du jetzt aber glaubst, Baboumian würde Unmengen an Fleisch vertilgen, liegt daneben:
Der Herkules ist Veganer.